Richterliche Überprüfung der Richtsatzsammlung des BMF - Auswirkungen für Steuer- und Steuerstrafverfahren

15.05.2024

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seinem Beschluss vom 14. Dezember 2022 (Az. X R 19/21) bedeutsame Fragen hinsichtlich der Zulässigkeit von Schätzungen anhand der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) aufgeworfen und das BMF zum Beitritt aufgefordert. Es ist zu erwarten, dass die Entscheidung des BFH die Problematik der Anwendung der Richtsatzsammlung abschließend noch in dem Jahr 2024 regeln wird.

Im Kern geht es darum, ob und unter welchen Voraussetzungen Schätzungen basierend auf dieser Sammlung im steuerrechtlichen Kontext als stichhaltig gelten können. In dem in Rede stehenden Fall hat das Finanzamt die Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuer eines Diskothekenbetreibers nach einer Außenprüfung erhöht . Die formellen Mängel in der Buchführung des Klägers führten zur Anwendung der Richtsatzsammlung zur Schätzung seiner Umsätze, was der Kläger letztlich angefochten hat.

Rechtliche Grundlagen für Schätzungen nach § 162 AO

§ 162 AO erlaubt den Finanzbehörden die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen, wenn diese nicht ermittelt oder berechnet werden können. Die Vorschrift sieht vor, dass alle Umstände, die für die Schätzung von Bedeutung sind, zu berücksichtigen sind, und dass das Schätzungsergebnis schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein muss .

In der Praxis hat sich die Richtsatzsammlung als Hilfsmittel für solche Schätzungen etabliert. Allerdings hat der BFH nun klargestellt, dass die Verwendung der amtlichen Richtsätze keine absolute Methode darstellt und nicht die individuellen Besonderheiten eines Einzelfalls ersetzen kann. Zudem muss die Finanzverwaltung die Grundlagen ihrer Schätzungen so darlegen, dass eine Nachprüfung und eine Überprüfung der Schlüssigkeit des Ergebnisses möglich sind.

Offene Fragen für den BFH

Der BFH hat in seinem Beschluss weitere offene Fragen identifiziert, die für die künftige Anwendung der Richtsatzsammlung von Bedeutung sind:

  • Die Gewichtung und Auswahl der Daten, die in die Ermittlung der Richtsätze einfließen, sowie deren Repräsentativität und die Ausschlusskriterien bestimmter Daten.
  • Die Frage, inwiefern regionale Unterschiede in den fixen Betriebskosten die Festlegung bundeseinheitlicher Richtsätze beeinflussen.
  • Die Berücksichtigung von Ergebnissen der Außenprüfungen bei Verlustbetrieben und die Einbeziehung von teilweise erfolgreichen Rechtsbehelfen gegen Steuerbescheide in die Richtsatzsammlung.

Diese Fragen sind von grundlegender Bedeutung, da sie die Präzision und Fairness der steuerrechtlichen Schätzungsmethoden beeinflussen können. Der BFH betont, dass eine Schätzungsmethode nur dann angewandt werden darf, wenn sie ein vernünftiges und der Realität entsprechendes Ergebnis abbildet. Es bleibt abzuwarten, wie der BFH in der finalen Entscheidung über diese offenen Fragen urteilen wird.

Praxishinweis

Angesichts dieser offenen Fragen wird empfohlen, Schätzungsbescheide, die sich wesentlich auf die Richtsatzsammlung stützen, durch Einspruch offenzuhalten, bis eine Entscheidung des BFH vorliegt. Es bietet sich auch an, die Schätzungsergebnisse kritisch zu prüfen und gegebenenfalls in einer Besprechung mit der Betriebsprüfungsstelle auf das anhängigen Verfahren hinzuweisen.

Auswirkungen auf Strafverfahren

In Strafverfahren, die eine Betriebsprüfung und Anwendung der Richtsatzsammlung als "Ausgangspunkt" haben, sollte zusammen mit einem spezialisierten Rechtsanwalt geprüft werden, ob Beweisermittlungsanträge gestellt werden, welche die Richtsätze der amtlichen Richtsatzsammlung in Frage stellen. Vor dem Hintergrund des BFH Verfahrens dürfte daher derzeit ernsthaft fraglich sein, ob die Richtsätze in Steuerstrafsachen als Schätzungsmethode zuzulassen sind.

 

Gerne beraten wir Sie zu diesem Rechtskreis.

 

Von Rechtsanwalt Martin Figatowski, LL.M. (Tax)




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